Kriegsende in Altenbauna - Erlebnisbericht.

Alt-Bürgermeister Adam Diegler. Hinter der Bank stehend.

A L S   D I E   A M E R I K A N E R   A L T E N B A U N A   B E S E T Z T E N . 

Erlebnisbericht von Alt-Bürgermeister Adam Diegler, Altenbauna.

Als endlich die letzten Kriegstage für Altenbauna herangekommen waren, war ich 32 Jahre alt. Ich war kein Soldat. Trotz dreimaliger Musterung schrieb man mich „arbeitsverwendungsfähig“, da ich bei der Raiffeisenkasse tätig war und wir lebenswichtige Funktionen hatten, z. B. die Versorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln und anderen wichtigen Gütern. Ich war u.k. (unabkömmlich) gestellt.

Besonders in Erinnerung aus damaliger Zeit sind mir Vorbereitungen, die auf eine dramatische Zuspitzung der Kriegshandlungen in unserer Gegend schließen lassen. Plötzlich sollten im Ort Panzersperren errichtet werden. Es kam ein Aufruf der politischen Leitung, wonach sich sämtliche Männer Altenbaunas zum Holzfällen im Baunsberg einzufinden hatten. Oberhalb der Lehmgrube in den Eichenbeständen sollten Bäume geschlagen und in großer Eile ins Dorf transportiert werden. Panzersperren entstanden am Ortsausgang Richtung Großenritte-Kirchbauna, am Berningerschen Hof und im heutigen Bingeweg, sowie an der Altenritter Straße. An letzterer Stelle wurden die Stämme jedoch nur gelagert. Es war nämlich noch ein kleiner Trupp Soldaten im Dorf, offensichtlich ein schnell Zusammengewürfelter Haufen, der von einem Obergefreiten geführt war. Wie wir erfuhren, durften diese Soldaten ihre Stellung ohne Feindberührung nicht aufgeben. Altenbauna sollte verteidigt Werden! Ob der Volkssturm in dieser Situation aufgerufen worden ist vermag ich nicht zu sagen.

Im Baunaer Feld, nahe Großenritte, hatte eine Flakbatterie Stellung bezogen. Zeitweise fuhr auch bewegliche Flak auf den Gleisen der Kleinbahn Kassel-Naumburg. Außerdem befand sich eine Flakstellung im Bornhagen vor dem Baunsberg. Auch auf dem Aussichtsturm des Baunsbergs muss ein Abwehrgeschütz gestanden haben.

Für die Altenbaunaer Zivilbevölkerung gab es einen verhältnismäßig guten Schutz. Man hatte nämlich, als die Fliegerangriffe sich häuften, zwei Stollen in den „Meierküppel“, eine Anhöhe über Altenbauna, vor dem eigentlichen Baunsberg, tief in den Berg hineingetrieben. Auswärtige Landsturmleute – Fachkräfte – hatten beim Bunkerbau mitgewirkt und die hiesigen Männer angeleitet. Ein großer Teil der Bevölkerung hat dort seitdem oft Schutz gesucht.

Während sich nun die wenigen deutschen Soldaten auf den Angriff der Amerikaner einrichteten, befanden sich noch drei Tigerpanzer im Dorf. Einer dieser schweren Panzer rollte durch die noch offene Lücke in Richtung Altenritte bis in Höhe des Sportplatzes vor dem Baunsberg und eröffnete das Feuer auf eine ausgemachte Geschützstellung, welche die Amerikaner auf dem Lohküppel über Altenritte bezogen hatten. Mit einem Schuss war die amerikanische Besatzung außer Gefecht gesetzt.

Ich hatte schon während des Vormittags, als ich meine Frau und das Kind beim Bunker abholen wollte, vom Meierküppel her, die motorisierten Einheiten der Amerikaner von Besse her in Richtung Großenritte rollen sehen. Ganz plötzlich tauchte mit Getöse über unseren Köpfen ein Tiefflieger auf. Von diesem Augenblick
an wussten wir, dass es dem Ende zuging. Das alles geschah am ersten Ostertag.

Erst als sich der deutsche Panzer wieder nach Altenbauna zurückgezogen hatte, wurde die Panzersperre in Richtung Altenritte zugemacht.

Schon tags zuvor, das sei hier nachgetragen, hatte ich zufällig auf der Flucht vor feindlichen Fliegern im Steinbruch am Baunsberg viele Hundert von ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die im Flugmotorenwerk arbeiteten, dort Deckung suchen sehen. Von deutschen Soldaten habe ich bei dieser Gelegenheit nichts wahrnehmen können, doch fand ich bei späteren Streifzügen durch den bewaldeten Baunsberg viele Erdlöcher und überall umherliegende Ausrüstungsgegenstände und Panzerfäuste, die auf verlassene deutsche Stellungen schließen lassen.

Wie ich später erfuhr, waren die Amerikaner eher in Kassel, als in Altenbauna. Sie waren teils über den Brand, oberhalb Altenritte und dem Brasselsberg, teils entlang der Frankfurter Landstraße auf Kassel zugestoßen und hatten dabei Altenbauna liegen lassen. Ich nehme an, dass sie den Standort der Flugmotorenwerke gekannt haben und dass sie dort stärkeren deutschen Widerstand erwarteten. Es waren aber keine nennenswerten Kräfte mehr dort.

Dass Altenbauna im weiteren Verlauf des Kriegsgeschehens beschossen wurde, verdankte es sicherlich dem zuvor erwähnten Panzereinsatz. Es dauerte nur wenige Stunden, da brach ein heftiger Geschosshagel auf Altenbauna hernieder.
Wir dachten zuerst es wären Bomber. Aber drei alte Kanoniere aus dem ersten Weltkrieg, darunter mein Vater, erkannten sofort, dass es sich um Artilleriebeschuss handelte. Sie hörten nämlich auch die Abschüsse, ehe die Granaten vielerorts ins Dorf einschlugen. Während dies geschah, waren die meisten Menschen aus dem Ort entweder in den Wald geflüchtet oder hatten Schutz im Bunker gesucht. Ganz wenige nur waren zu Hause geblieben. Darum waren auch alle Türen und Tore verschlossen. Bei dem Feuerüberfall wurde die Scheune meines Schwiegervaters, des so genannten Bulldog-Schmidts, schwer getroffen. Auch die Scheune des Gehöftes Momberg, in der Nähe der Schule, hatte einen Volltreffer abbekommen. Den größten Schaden jedoch erlitt der Hof des Ortsgruppenleiters Brede. Dort gab es Tote und Verwundete. Ich erinnere mich, dass man eine verwundete Frau mit einem Pferdewagen in das Hilfslazarett nach Guntershausen transportiert hat. Bei den Toten handelte es sich um den 44.jährigen Hermann Engmann und ein 17-jähriges Mädchen, namens Erika Ludwig, Tochter des Wachmanns August Ludwig aus Altenbauna.

Als wir aus dem Bunker heraus die vielen Einschläge im Dorf beobachteten, ertönte plötzlich aus dem Baunsberg weithin hörbar eine Lautsprecherstimme: „Hier spricht die Stimme des Generals Eisenhower!“ In dem Wortlaut der folgenden Proklamation hieß es, dass die Bevölkerung Altenbaunas sich friedlich verhalten und nach Hause gehen sollte. Auch forderte man sie auf, die weiße Fahne zu zeigen. Demnach wusste der Sprecher genau, dass sich Menschen im Bunker aufhielten. Daraufhin kamen aus der alten Mühle, die etwas abseits des Dorfes am Oberlauf der Bauna lag, unsere französischen Kriegsgefangenen, die sich dort versammelt hatten, mit weißen Fahnen heraus und marschierten in Richtung des Lautsprechers zum Baunsberg. Ich vermute, dass dort auf dem Gipfel ein Panzer stand und nun über die
Dächer des Dorfes hinweg Parolen ausgab. Nun erschienen auch hier und da an den Häusern Altenbaunas weiße Fahnen.

Wie alle Bunkerinsassen eilten wir hinab ins Dorf, und als wir nicht lange zu Hause waren, rollten zu unserer Verwunderung amerikanische Panzer aus Richtung Kassel in den Ort und unmittelbar an unserer Haustür vorüber.

Die paar deutschen Soldaten, die sich noch vor dem Beschuss im Ort aufgehalten hatten, sollen sich bei Zeiten davon gemacht haben, die meisten in Zivilkleidung, die ihnen barmherzige Altenbaunaer zugesteckt hatten.

Quelle: Stadtarchiv Baunnatal
(Zusammenfassung einer Tonbandaufnahme.)


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Am Baunsberg.

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